Mittlerweile stehen wir t= -2h vor dem Eröffnungsspiel. Gerade noch Zeit, um mit einem frischen Caipi in der Hand über den Regenwald zu resümieren. Zwei Nächte verbringen wir bereits in der Juma Lodge, ohne Internet, ohne warme Duschen, ohne … eine Jugendherberge für die schizophren Avantgarde der westlichen Wohlstandsgesellschaft.

Wenn jemand jäh den Ursprung des Mottos „Mittendrin, statt nur dabei“ sucht, sollte er sich hier in der Gegend auf die Lauer legen und mit seinen Nachforschungen beginnen. Exkursionen mit Gruppennaherfahrung sind hier noch gleichbedeutend mit Therapiestunden, quasi der direkte Weg Richtung meditativer Selbsterfahrung. Here weg go …

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Tag 1: Anreise (Sonne, 33 Grad)

Völlig übermüdet, da nicht geschlafen hat uns ein Fahrer morgens um halb sechs im Hotel in Manaus in Empfang genommen. Auf einer der obersten sprich 14. Etage haben wir in der zurückliegenden Nacht mit Blick auf den Rio Negro und die hiesige Fanmeile die Minibars schnell noch in ihrer Daseinsberechtigung bestätigt bzw. restlos geplündert. Devise: Nur nicht einschlafen.

Keine Zigaretten mehr– der Tag beginnt mit leichten Panikattacken, es geht ja schließlich in’s absolute Nirvana. An der dritten Tanke sind wir endlich fündig geworden und haben mit viel Geduld unser Anliegen vorgetragen: 10 Schachteln und zwei Bier. Wir haben wirklich nix vom Weihnachtsmann oder Max Kruse erzählt – genau so wurden wir aber lange Zeit angeschaut. Irgendwann hat es dann gegenüber in den schönen blauen Augen Klick gemacht. Große Beruhigung – Rauchen ist schädlich, ja – wissen wir.

Per Schnellboot (wirklich schnell) und per Bus ging’s weiter zur ersten Erfrischungsgelegenheit. Mit an Bord reichlich Vogelkundler, pseudo-backpacker und ein amerikanischer Kindergarten Marke „wir helfen der Umwelt, natürlich nicht nur in Nicaragua“. Prima, entspricht genau unserer Wunschvorstellung ! Gina Lisa oder Michaela hätten es aber auch getan, Danke !

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Begrüßung: Die Bar schließt um 22h, natürlich kein Fernseher weit und breit und exakt je eine Stunde für Frühstück, Mittagessen und Dinner. „In einer Stunde geht’s dann los zu den Einheimischen !“. Begeisterung im Vogelmileu und in der Krabbelgruppe. Abwinken bei uns – Rauchwaren haben wir schließlich schon und bei derartigen Getränkeöffnungszeiten muss man sich ranhalten.

Abends hat Tourguide Eni dann einen Kadervortrag über den Amazonas an sich und die zugrundeliegenden biochemischen Prozesse gehalten. Etwas Grün angehaucht, aber total OK. Als die Vogelkundler sich einmischen wollten, wurde schnell die Thematik Richtung deutscher Atompolitik umgelenkt: Hier passt mein Vokabular besser und garantierte fortan Ruhe im Schiff. Selbst die Krabbelgruppe kennt jetzt die Weizäcker Massenformel und das argentinischen Rotkehlchen, der-die-weil die A20 erst so spät fertig wurde.

Tag 2: Eine Bootsfahrt, die ist lustig (Dauerregen)

Eni hat uns gestern Morgen gleich verraten, dass massiver Regen droht. Nachdem wir bereits die Nachttour geschwänzt hatten – weiß doch jeder, dass man kurz vor Vollmond keine Alligatoren findet – wurde die Belegschaft leicht skeptisch. „Die Allemanhos fahren schon wieder nicht mit ?!“ Man fing an, sich für uns zu interessieren. Nicht zuletzt deshalb, weil unsere Barumsätze gleichzusetzen waren mit denen vom Rest der Truppenteile.

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Wir verabschiedeten und empfingen alle Bootsfahrer inklusive Regencapes nach ausgiebigen Starkregen und Gewitter. Natürlich mit Champagner – Geburtstagschampagner – 11.06 ! Man sind die bescheuert. Die Belegschaft hingegen hatte sich unterdes beraten und serviert mittlerweile direkt an die Hängematten mit Eiskübel und stellt hier und da sogar einen Aschenbecher auf.

Zeit zum nächsten Angriff überzugehen. Bei der Angeltour – Premiere, huhu wir sind dabei – wurde unsererseits eine Art Planänderung für den heutigen Tag nahegelegt bzw. aufgezwungen.  We have to look for a boot with a captain, the captain then have to look for a house  and inside the house – a full ausg bar is mandatory – have to be just a TV. Aufgezwungen sollte hier durch unser betontes “have to” untermalt werden bzw. das konsequente  Auslassen von Wörtern, wie „can, may be etc“.

Gesagt, getan: Management hat TV Anlage inklusive SAT Schüssel gekauft, wurde heute Morgen angeliefert. Funktioniert – unser Techniker hat schliesslich akribisch die Aufbauarbeiten überwacht ! Als (zugegeben verstecktes) Dankeschön haben wir den ersten Caipi bereits mal um 10h bestellt. By the way: Von Piranhas keine Spur – lesson learned: Im Amazonas gibt’s gar keine Fische. Die Ruhe wurde nur durch das bugseitige Öffnen diverser Bierdosen gestört – aber nicht nachhaltig.

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Randnotiz Tierwelt: Sollte man diesbezüglich Pantanal rein bildlich mit dem Regenwald vergleichen wollen, ist das wie Tierpark versus Rechenzentrum. Letzteres natürlich oberhalb des Doppelbodens – wer weiß, wer weiß ? Neben den üblichen Verdächtigen, wie Hüpfspinnen, paranoiden Fledermäusen gibt es vor unserer Tür noch eine Ameisenstrasse, die seit Stunden im Kreis läuft – sogenannter annimalistischer Kreisverkehr. Der ohnehin schon auf zwei Dimensionen geschrumpfte Ameiseninterllekt hat sich in Amazonien also scheinbar nochmal abwärts mutiert.

Schnell noch bei Meister Eni einen Privatchauffeur für zwölf Stunden Manaus am Samstag organisiert.  Mit dabei ein Pärchen aus England – nett, aber die versteh ich kaum. Irgendwo müssen wir ja das Gepäck verstauen. Abflug: 2h Nachts.  Caipi bei ansteigenden Erkältungserscheinungen, Dauerschwitzen bei schwülen 33 Grad – egal: Morgen geht’s endlich los ! Copa del Mundo, so oder so ähnlich ?!

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Tag 3: Wenn dich einer fragt, woher du kommst

dann sag Borussia ! Wieder Sonne, 33 Grad. Alle touristischen Truppenteile wieder auf Exkursion – wir Flagge gehisst. Alle Angestellten Daumen hoch. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, schwupps hingen im improvisierten Fernsehraum Brasilien Fahnen. Die Lodge-Chefin ist mittlerweile auch eingeritten, hat sich instantan mit uns solidarisiert: Rauchen beim Brasi-Spiel erlaubt – qualmt nämlich ausnahmsweise mal selber ! Unsere selbstorganisierte Kanufahrt als Exkursionsausgleich hat nebenher bemerkt auch mächtig Eindruck geschunden …

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3:1 ! War wohl kein Elfmeter ! Haben wir aus politischen Motiven heraus uneigennützig       verschwiegen – gab’s gleich viele Daumen hoch plus einen Caipi auf’s Haus. Wieder mal eine Mücke auf dem Display zerdrückt – die 985ste. Und Woody Woodpacker kloppft in unmittelbarer Nachbarschaft. Nein, nicht ebenfalls paranoid – der macht das immer so.

Noch 20cm und die ganze Lodge säuft übrigens ab. Immer wenn ein Kutter etwas dichter vorbeifährt wird es aufgrund der ankommenden Monsterwellen bereits kritisch. Der Amazonier an sich ist aber ein geübter Improvisatör und überbrückt die ankommenden Fluten schnell mal mit den Türen der Gästetoilette.  Unsere Tabakvorräte schmilzen dahin … Holt uns hier raus (oder schickt uns GL – mit Zigaretten selbstverständlich).

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Tag 4: Final Sprint (immer noch sonnig)

Die Krabbelgruppe ist bereits gestern abgereist. Respekt. Im Gegensatz zu uns hat man in der Führungsetage wohl bereits im Vorhinein abschätzen könne, dass man für mehr als zwei Nächte keine rational nachvollziehbaren Grundlage mehr findet. Reisetrottel sind da ja komplett anders gestrickt: Es muss scheinbar richtig weh tun.

Geht der Aufenthalt zu Ende sieht man das Alles naturgemäß etwas relaxter. Also sollten die positiven Dinge nicht unerwähnt bleiben. Drei Viertel der Zeit hatten wir super Wetter – absolut ungewöhnlich für diese Region – das war für unseren  Aufenthalt naturgemäß nicht unbedeutend. Gleiches gilt für absolut moderate Getränkepreise.

Irgendwie wurde man hier das Gefühl nicht los, dass man genau an diesem Platz irgendwann in seinem Leben einmal gewesen sein muss. 15 Meter über dem Wasser auf Holzstelzen weit weg jeglicher Zivilisation inmitten Amazonien. Selbst wenn die Mitreisenden mitunter wieder mächtig nervten – die Crew von der Lodge war zumindest OK. Hatten zwar etwas Anpassungsschwierigkeiten mit Team Ostsee, aber lief dann irgendwie doch in unsere Richtung. Lessons learned: Wir sind in solchen Gefilden halt doch irgendwie „Exoten“.

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Wieder haben wir auch Deutsche getroffen – wieder aus Rostock. Zufall ? Im Nebenzimmer wurde fleißig Katja Epstein und Jürgen Drews gehört. No Comment ! So hat hier jeder sein Päckchen zu tragen. Wenn das hier online ist, sind wir es auch – geschafft, überlebt und letztendlich gar nicht mal bereut.

Randnotiz WM: Wer hat eigentlich 5:1 für die Tulpen getippt ? Man hat uns doch hier im Dschungel etwas vorgespielt, oder ? An dieser Stelle – aber wirklich nur an der – muss auch mal das extremst nervige amerikanische „emaziiing … „ als Kommentar herhalten.

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